Franziska Fischer ist auf diesem Blog kein unbeschriebenes Blatt mehr. Nachdem ich von ihrem Ink-Rebels-Debüt „Und irgendwo ich“ begeistert war, musste ich ihrem neuen Roman „Himmelhoch – Alles neu für Amélie“, bei cbt erschienen, direkt am Erscheinungstag ein neues Zuhause verschaffen. Obwohl ich eigentlich gar nicht daheim in Lüneburg, sondern für einen Tag in Hannover unterwegs und mein Rucksack voll, meine Schultern müde und überhaupt alles ziemlich stressig war. Aber so ein Kurz-vor-Ladenschluss-noch-hineinhuschen-und-inmitten-von-Büchern-entspannen-Stöbern bringt dann doch zur richtigen Zeit die richtigen Schätze hervor. Mein ganz persönlicher Piratenschatz, würde Amélies kleiner Bruder Paul jetzt sagen – und er würde verstehen, warum ich „Himmelhoch“ unbedingt mitnehmen musste. Auch Amélies Tante Fiona hätte nur zustimmend genickt, da bin ich ganz sicher:
Handlung: Erste Dates und wacklige neue Freundschaften
Amélie zieht mit ihrer Familie vom turbulenten Berlin in ein kleines Kaff an der Küste. Was für viele Teenies ein Desaster wäre, kommt ihr sogar sehr gelegen. Am liebsten würde sie ihre Tage still in ihrem Kämmerchen oder mit ihrem kleinen Bruder Paul und ihrem besten Freund Salim verbringen, aber das Mädchen von nebenan hat anscheinend andere Pläne …
Isa ist beliebt, immer gut gelaunt und möchte auch die Neuen von nebenan mit offenen Armen in ihren Freundeskreis aufnehmen. Besonders nachdem sie Amélies guten Freund Salim kennenlernt. Zu dumm nur, dass Amélie keinerlei Interesse daran zu haben scheint, weitere Freundschaften zu schließen. Ein Plan ist schnell geschmiedet …
Linus ist gar nicht von der Idee seiner Schwester überzeugt. Er würde sich lieber aus allem heraushalten, aber wenn sein Zwilling sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann muss Linus wohl oder übel helfen. Dabei hat er gerade ganz andere Dinge – oder Personen – im Kopf. Isas Freundin Svea zum Beispiel …
Auch wenn die Geschichte am Meer spielt, ist „Himmelhoch“ kein Sommerurlaub-Eis-am-Stiel-Bikinis-all-around-Roman. Die Jugendlichen bleiben zum großen Teil trocken und die Wellen zeichnen sich meist nur in Amélies Beziehungen ab: Es ist ein stetes Ankommen-Umsehen-Herantasten-und-Abstoßen-und-wieder-Versuchen.
Ich habe mich direkt in „Himmelhoch“ wiedergefunden, in dem Gefühl, neu zu sein, sich seinen eigenen Platz zu erkämpfen. Aber auch die schönen Seiten eines Umzugs lässt Fischer nicht aus: die Entdeckungen, die Erweiterung des Horizonts, die Familienbande … Fischer schafft es immer wieder, diese besonderen Momente einzufangen. Aber auch die Geschichten von Isa und von Linus versetzen einen zurück in seine Teenie-Jahre: erste Dates, die schrecklich peinlich oder auch erschreckend perfekt verlaufen, die kleinen und großen Dramen auf dem Schulhof und im Familienleben …
Mit einer Ausnahme (psst – Spoiler) schlägt Franziska Fischers keine hohen Wellen mit ihrer Handlung; stattdessen schafft sie es, aus dem Normalen, dem Alltäglichen, einen Ruhepol des Lesens zu schaffen, der ohne viel Wirbel(sturm) auskommt und den Leser doch fesselt und mit sich reißt. Für mich, die den Roman im Urlaub in einer einsamen Hütte in den österreichischen Bergen gelesen hat, kam die Geschwindigkeit dieser Geschichte gerade recht
Erwachsenwerden muss nicht immer dramatisch sein, die Entscheidungen nicht zwischen Leben und Tod entscheiden. Anfangs suchte ich noch nach einer inhaltlichen Klammer, die die Gesichte vorantreibt und sich bereits im ersten Kapitel ankündigt, etwas, auf das alles Weitere abzielt, eben so, wie man es aus vielen anderen Romanen kennt. Fischer geht ihre Geschichte jedoch anders an.
Die Jugendlichen versuchen alle auf ihre ganz eigene Weise und unabhängig voneinander, Glück zu definieren – und finden es mehr oder weniger, wie wir alle, in den unterschiedlichsten Situationen. Manchmal sind es genau die kleinen, ruhigen Momente, in denen Charaktere entstehen und Meinungen gebildet werden. Wir als Leser verfolgen den scheinbar normalen Alltag mehrerer Jugendlichen, ein Alltag, wie wir ihn mehr oder weniger auch geführt haben, der auch oft keinen roten Faden zu haben scheint außer unseren Wünschen und Hoffnungen. Nähe entsteht. Verständnis wird erzeugt. Und ja, so manch einer sehnt sich so wie Linus gerade dann nach der als einfacher empfundenen Kindheit zurück, bevor man Teenager, bevor man erwachsen wurde.
Charaktere: Die Kleinen ganz groß – Nebencharaktere stehlen die Show
Amélies neues Leben steht im Mittelpunkt der Geschichte. Ihr Umzug lässt die Handlung einsetzen. Ihr Name steht auf dem Cover. Und sie ist eine schöne Figur, in deren Erzählungen man gerne ein paar Stunden eintaucht.
Aber manchmal sind es die leisen, zuerst eher unwahrscheinlichen Figuren, die unerwartet auftauchen, einen mit Gefühlen und Empathie überschwemmen und einem am lautesten in Erinnerung bleiben. Für mich waren das in diesem Fall Amélies kleiner Bruder Paul, Isas Zwillingsbruder Linus und Klassenkamerad Melvin, der lediglich eine Randfigur in diesem Band spielt, in Folgebänden aber hoffentlich noch häufiger vorkommen wird.
Zuerst erscheint einem Paul als typischer kleiner Bruder: laut, nervig, mit der ganzen Aufmerksamkeit der Eltern ausgestattet. Doch mit jedem Kapitel lernt man nicht nur Amélie und ihre Vergangenheit besser kennen, sondern auch ihre Beziehung zu Paul, der sich manchmal regelrecht aus seinen Träumen rausschreien muss und Bernstein für einen Piratenschatz hält. Wie überhaupt im ganzen Roman sind auch hier die Nuancen von Fischer gut gesetzt. Aus dem Stereotyp Kleiner Bruder wird eine runde, liebenswerte Figur, die man am liebsten selbst in den Arm nehmen möchte.
Linus findet Amélie komisch, und für Amélie ist Linus nur der Bruder des Mädchens, das sie nicht in Ruhe lassen möchte. Ihre Handlungsstränge laufen zum großen Teil parallel zueinander, ohne einander zu berühren. Nur hin und wieder kommen sie zusammen, und in genau diesen Momenten fand ich als Leser den besten Zugang zu sowohl Linus’ als auch Amélies Charakter. Die Treffen haben etwas Reines an sich, ohne das sonst oft von anderen Autoren zu dick aufgetragene Gefühl der Anziehung und der übermäßigen Analyse des anderen. Ich hoffe, dass in Folgebänden diese Freundschaft zwischen den beiden noch wächst und wieder zu so schönen Lesemomenten führt.
Schreibstil: ein Spiegel der Charaktere, um den man sich bemühen muss
Wie schon bei Franziska Fischers „Und irgendwo ich“ finde ich auch hier ihren Schreibstil wunderschön ausgearbeitet und leicht zu lesen. Amélies und Linus’ Geschichten werden aus der Ich-Perspektive erzählt, während Fischer Isas Handlung mittels personalem Erzähler vermittelt. Eine Entscheidung, die etwas irritiert und auch zum großen Teil dazu beiträgt, dass ich mich als Leser Linus und Amélie so verbunden fühle, während mir Isas Charakter manchmal noch etwas fremd erscheint. Der Kontrast zwischen den unterschiedlichen Perspektiven war mir etwas zu einschneidend, sodass ich Isa lange Zeit nicht greifen konnte.
Für meinen Geschmack hätte Fischer auch ein wenig mehr mit Dialogen arbeiten können; zum Teil wird das Besprochene nur zusammengefasst wiedergegeben, wodurch etwas von der Nähe zu den Charakteren eingebüßt wird. Dieser Stil ist etwas gewöhnungsbedürftig. Mit der Zeit empfindet man es aber weniger als Störfaktor und mehr als eine gelungene Art, die Geschichte als solche ebenfalls zu charakterisieren.
Es ist ein ruhiges, ein stilles Buch; so wie auch Amélie selbst ein Charakter ist, der einen nicht mit offenen Armen empfängt und sofort alle seine Geheimnisse preisgibt. So wie der Leser beim Schreibstil müssen sich Isa und Linus erst einmal um Amélie bemühen, sie wirklich kennenlernen … und bevor man es merkt, wird man von ihrer Geschichte mitgerissen.
Fazit
„Himmelhoch“ ist anders. In der Darstellung, im Aufbau, in seinen Charakteren. Aber gerade diese Andersartigkeit schenkt einem Leser, der bereit ist, sich darauf einzulassen, ein großes Lesevergnügen. Es ist unbedingt zu empfehlen, wenn man seinem stressigen Alltag für ein paar ruhige Stunden entfliehen möchte.
In ihrem Nachwort (Ja, ich lese immer gewissenhaft Danksagung und Nachwort und kann es nur jedem Leser empfehlen) erklärt die Autorin, weswegen sie sich für die Welt der Amélie entschieden hat:
Und das, liebe Franziska, hast du wirklich getan. Linus, Paul & Co will ich nun nicht mehr missen. Danke dafür! Ich freue mich schon auf die Folgebände.
Plot:
Charaktere:
Schreibstil: