Von ihrem Jugendbuch „Die Buchspringer“ kannte ich Mechthild Gläser schon als eine Autorin, die sich gerne (und auch gut) mit dem Phänomen des Buches im Buch auseinandersetzt. Und was lieben Bücherliebhaber (oder -fanatiker, je nachdem, wen man fragt) mehr, als eine tolle Geschichte? Richtig, eine Geschichte, die um ein besonderes/verwunschenes/lebendes Buch geht.
Alles beginnt mit einer Chronik im verlassenen Westflügel
Bei „Emma, der Faun und das vergessene Buch“ wird dem Leser ein solches Buch bereits im Titel versprochen. Emma, die auf ein Elite-Internat geht, findet im verlassenen Westflügel des Schlosses eine alte Chronik, die auf den ersten Blick lediglich verschiedene Ereignisse der Schlossbewohner aufzulisten scheint. Doch als Emma anfängt, selbst Dinge darin festzuhalten, stellt sie schnell fest, dass das Geschriebene … Realität wird.
Das Finden der Chronik fällt außerdem mit dem Eintreffen von Darcy de Winter zusammen, dem Sprössling der Schlossbesitzer, der vor ein paar Jahren selbst auf das Internat gegangen ist, aber nach dem Verschwinden seiner Schwester Gina die Schule verlassen hat. Jetzt ist er zurück und wird nicht aufgeben, bis er herausfindet, was damals wirklich mit Gina passiert ist.
Gläsers Anlehnung an berühmte Werke wie „Stolz und Vorurteil“
Bereits mit „Die Buchspringer“ schaffte Mechthild Gläser es, Kindheitserinnerungen in mir zu wecken, indem sie alte Klassiker der Literatur in ihrem Roman verarbeitete. In „Emma, der Faun und das vergessene Buch“ greift sie einen anderen Klassiker auf – und dieses Mal in ganz anderer Form. Anstatt Charaktere anderer Autoren aufleben zu lassen, basiert die Handlung dieses Mal grob auf Jane Austens „Stolz und Vorurteil“. Fans von Lizzie und Darcy werden die Parallelen erkennen, die wunderbar in die moderne Zeit übernommen wurden. (Und natürlich erkennt die Kennerin auch gleich, dass Emma natürlich auch eine bekannte Heldin der Austen-Bücher ist).
Ich selbst bin oft kein Fan von solchen Adaptionen – besonders die Geschichte einer Frau, die ihren Mr. Darcy sucht, läuft einem in den Buchhandlungen leider viel zu oft über den Weg. Aber hier muss ich sagen, hat mich „Emma, der Faun und das vergessene Buch“ sehr positiv überrascht und überzeugt. Durch die fantastischen Aspekte der Chronik und des Fauns rückt der romantische rote Faden der Austen-Adaption in den Hintergrund und bietet so lediglich einen schönen Rahmen, in dem Mechthild Gläser ihr ganz eigenes Bild malt. Für mich war der fantastische Handlungsstrang besonders fesselnd, da ich (anders als bei der Handlung à la Austen) hier sehr oft überrascht wurde.
Der Plot hat mich von vorne bis hinten überzeugt!
Der Plot ist gut durchdacht und bringt immer neue Facetten zu der Überlegung, in wie weit Fantasie und Geschichten das reale Leben beeinflussen. Schriftsteller leben davon, mit Stift und Papier (bzw. Computer und Tastatur) eigene Welten zu erschaffen, deren Atome, Knochen und Sauerstoff aus Wörtern, Sätzen und Fantasie bestehen. Die Idee, dass diese Wörter nicht nur im Kopf des Lesers, sondern auch in seinem eigenen Leben Fuß fassen, ist faszinierend und überbrückt die Distanz zwischen Leser und Geschichte, indem man sich selbst plötzlich fragt, wie man an Emmas Stelle reagiert und die Chronik benutzen würde.
Gleichzeitig wirkt Gläser dem Kritiker an mancher Stelle von Anfang an entgegen: Ja, Geschriebenes wird wahr, aber die Magie konzentriert sich auf das Umfeld der Chronik, in diesem Fall das Internat. Den Charakter von Menschen kann man nicht verändern und auch die restliche Magie hält nicht ewig. Also alle, die sofort sagen: Wo ist der Weltfrieden? Darum geht es hier definitiv nicht. Es geht vor allem um Emmas Auseinandersetzung mit der Chronik – inwieweit sie die Magie der Chronik benutzen möchte und welche Konsequenzen daraus entstehen – und die Suche nach Gina, Darcys Schwester, bei der Emma Darcy helfen möchte, egal wie arrogant und unerträglich er am Anfang zu sein scheint.
Die eine oder andere Schwachstelle
So sehr mich die Idee des Romans und auch der fantastische Plot mitgerissen haben, hat mich manchmal leider der Dialog aus dem Lesefluss gerissen. Manche der Charaktere haben meiner Meinung nach zu literarisch und damit nicht zeitgenössisch genug gesprochen, besonders bei Darcy ist mir das immer wieder aufgefallen. Das kann jedoch auch an seinem literarischen Vorbild liegen. Und im Großen und Ganzen tut es der Geschichte keinen Abbruch; dennoch ein Raben-Abzug für den Schreibstil (siehe unten).
Ein weiteres kleines Manko lässt sich vielleicht ebenfalls auf die Austen-Vorlage zurückführen. Für mich waren die Charaktere an sich gut gewählt und besonders in die Hauptfiguren konnte ich mich gut hineinversetzen. Die restlichen Figuren blieben leider etwas durchsichtig. Viele sind lediglich Platzhalter bzw. Randfiguren, die keine größeren Rollen spielen und darum auch nicht allzu sehr ausgestattet wurden. So waren sie für mich nicht ganz greifbar und störten ein wenig das Weltenbild, das ich vom Internat hatte, da ich so nicht ganz in Emmas Alltag hineingefunden habe. Darum auch hier für die Charaktere einen Raben-Abzug (siehe unten).
Und wo ist jetzt dieser Faun?
Das Buch aus dem Titel haben wir besprochen und auch Emma haben wir vorgestellt – aber was für eine Rolle spielt denn nun der sagenumwobene Faun für den Roman? Dazu will ich gar nicht allzu viel verraten, nur, dass seine Geschichte mit dem Ursprung der Chronik verwoben ist und mit zu meinen Lieblingsstellen im Roman gehört, da Gläser hier wieder beweist, wie wunderbar sie ihre bibliophile Vorliebe in ihrem Schreibstil einfließen lassen kann.
Soviel zum Faun. Wer mehr über ihn und seine Vorliebe für „saftige Satzanfänge“ erfahren möchte, muss schon das Buch lesen.
Plot:
Charaktere:
Schreibstil:
Hier geht es zu meinem Autorenporträt von Mechthild Gläser.
Ein Kommentar zu „Rezension „Emma, der Faun und das vergessene Buch“ von Mechthild Gläser: Jane Austen mit Fabelwesen und einer Portion Bibliophilie“